Die Stimme fasziniert. Sehr. Fast erscheint sie geheimnisvoll. Mir passiert es hin und wieder, dass Menschen leuchtende Augen bekommen, wenn ich erzähle, was ich mache. Offenbar verfüge ich als Stimm- und Sprechtrainerin über ein seltenes Expertenwissen, zumindest werde ich wohl so gesehen. Das erstaunt und amüsiert mich regelmäßig.

Ich nehme das heute mal zum Anlass, um mit verbreiteten Irrtümern über die menschliche Stimme aufzuräumen. Die begegnen mir nämlich immer wieder. Vielleicht kennst du den einen oder anderen Punkt ja auch?  Also hier sind meine Top 5 für dich – und los geht’s!

1 – „Die Stimme ist, wie sie ist. Da kann man nichts machen.“

Hast du dich schon mal gefragt, weshalb es eigentlich Therapeuten, Stimm- und Sprechtrainer gibt? Wenn die Stimme unveränderbar wäre, könnten sie doch ihren Beruf gar nicht machen, oder?

Also, ich möchte gerecht sein: Ein Teil dieser Aussage stimmt schon. Dazu habe ich hier schon einmal etwas geschrieben. Dein Kehlkopf ist, wie er ist. Größer oder kleiner – das hängt von deiner Körpergröße ab. Und je größer der Kehlkopf ist, desto länger sind die Stimmlippen, desto weiter schwingen sie aus und desto tiefer ist die physiologisch günstige Stimmlage. Also kann man sagen, dass die Stimmhöhe oder Stimmtiefe vorgegeben ist. Allerdings sprechen viele Menschen nicht in der Stimmlage, die für sie optimal ist. Hier kann man mit einem Training viel erreichen, denn dort lernst du, deine ideale Stimmlage auch zu nutzen.

In einem Stimmtraining verbessern sich auch viele andere Dinge: Du lernst eine entspannte Stimmgebung, damit die Stimme belastbarer wird. Du lernst, deine Resonanz- und Klangräume zu nutzen. Du lernst, angepasst an den Raum zu sprechen. Du lernst, zielgerichtet zu sprechen, so dass du mit deiner Stimme auch „durchkommst“, wenn es mal lauter in der Umgebung ist. Und da gibt es noch viele Dinge mehr.

2 – „Wenn die Stimme nicht funktioniert, muss man sie schonen, damit es besser wird.“

Klar, es gibt Situationen, in denen Schonung angebracht ist. Bei einer handfesten Kehlkopfentzündung empfiehlt es sich, eine strenge Stimmruhe einzuhalten, damit die Entzündung abklingen kann. Manchmal ist es im Anschluss sinnvoll, mit einem oder einer Therapeut*in an der Stimme zu arbeiten. Das entscheidet dann im Einzelfall ein HNO-Arzt oder eine Phoniaterin – es lohnt sich, diesen Entscheidungen zu vertrauen.

Aber wann ist es für die Stimme nicht wirklich hilfreich, sie zu schonen? 

Immer dann, wenn deine Stimmprobleme auf ungünstige Sprechgewohnheiten zurückzuführen sind. Es ist ganz normal, dass wir uns alle im Laufe der Zeit eine ganz bestimmte Sprechweise angewöhnt haben, wir sprechen ja schon ein paar Jahre. Wenn du aber merkst, dass deine Stimme schnell müde wird, heiser klingt oder dass du im Hals ein Kloßgefühl o.ä. hast, kann es hilfreich sein, dir mal anzuschauen, was du beim Sprechen eigentlich machst.

So sehe ich zum Beispiel oft eine ungünstige Körper- oder Kopfhaltung beim Sprechen. Vielleicht sind da auch Verspannungen im Schulter- oder Halsbereich, die sich ungünstig auf den Stimmklang auswirken. Oder es gibt zu viel Druck auf der Stimme, so dass es eng klingt. Vielleicht ist auch die Atmung nicht optimal. Es gibt viele Möglichkeiten.

In allen diesen Fällen führt Schonung zu einer kurzfristigen Besserung: Die Heiserkeit oder das Kloßgefühl verschwinden. Das Grundproblem aber bleibt.

Und hier ist es dann viel nachhaltiger, mit einer Stimmtrainerin an der Sprechweise zu arbeiten. So kannst du dauerhaft dafür sorgen, dass die Stimme funktioniert.

3 – „Um eine richtig gute Stimme zu haben, muss man medizinisches Spezialwissen haben.“

Die spannende Frage ist hier schon einmal: was stellst du dir unter einer guten Stimme vor? Wer spricht da vor deinem inneren Ohr? Naaa? Und denkst du, dass diese Person medizinisches Spezialwissen hat? Egal, wie deine Antwort jetzt ausfällt, ich gebe dir hier mal einen kleinen Einblick in die Praxis des Stimmtrainings.

Grundsätzlich ist es gut, wenn du weißt, was du beim Sprechen tust. Es ist cool, wenn die Stimme mit einer ganz besonderen Klangfarbe einfach abrufbar ist. Um das zu erreichen, greift man auf innere Bilder und Vorstellungen zurück und der Körper, bzw. in dem Fall die Stimme, reagiert darauf und klingt dann so, wie du es möchtest. Bis das zuverlässig funktioniert, hat man eine Weile zu tun.

Diese inneren Bilder sind in den seltensten Fällen medizinisch korrekt. Im Gegenteil – oftmals sind sie sehr phantasievoll. Und das ist gut so. Nach meiner Erfahrung kann zu viel medizinisches Wissen über die Stimme im Training hemmend wirken. Man ist dann nämlich viel zu sehr im Verstand und dabei geht es doch eher darum, die Stimme körperlich zu erfahren und dieser Wahrnehmung zu vertrauen. Es geht darum, der Stimme im Körper ein Zuhause zu geben.

Natürlich schadet es nicht, zu wissen, was der Stimme gut tut und was nicht. Aber es ist nicht nötig, die körperlichen Vorgänge beim Sprechen im Detail zu kennen. Das ist zumindest meine Position dazu.

4 – „Stimmtraining bedeutet, dass man nur die Stimmbänder trainiert.“

Fußballtraining bedeutet, dass man nur die Füße trainiert. Nicht? Stimmt, das ist absurd. Um gut Fußball spielen zu können, muss man viele verschiedene Fertigkeiten immer wieder üben. Man sorgt dafür, dass der Körper geschmeidig und wendig ist, man sorgt für die nötige Kraft, Schnelligkeit usw. – über Fußball weiß ich nicht so viel. Deshalb lass mich die Analogie zur Stimme ziehen.

Auch bei einem Stimmtraining trainiert man verschiedene Fertigkeiten in ganz verschiedenen Bereichen. Ich habe bereits davon gesprochen, dass man die Stimme körperlich erfährt. Und so ist es am Anfang sehr wichtig, für einen guten Zustand des Körpers zu sorgen. Es geht hier um eine entspannte Lockerheit, die gleichzeitig eine aufgerichtete Körperhaltung ermöglicht. Über die Haltung habe ich hier schon einmal geschrieben. Und diese Haltung, die eine wache Aufmerksamkeit ausdrückt, ist für das Sprechen einfach ideal. Außerdem ist es natürlich wichtig, für entspannte Muskulatur im Gesichts- und Halsbereich zu sorgen, denn Verspannungen wirken sich hier ganz direkt auf den Stimmklang aus. Welche Bereiche trainiert man noch? Die Atmung, den Stimmumfang, die Variabilität in der Sprechmelodie, die deutliche Aussprache, die Kraftstimme, die Klarheit im Ausdruck – das Training erfordert den ganzen Menschen mit seiner Aufmerksamkeit. Und weißt du, was für viele meiner Klienten das Schwierigste ist? Das Loslassen. Wir nennen es Training, aber eigentlich geht es immer wieder darum, Dinge zuzulassen. Zum Beispiel den Atem nur zu beobachten, ihn aber nicht zu verändern. Darüber mache ich demnächst mal einen gesonderten Artikel.

5 – „Ein Stimmtraining ist sehr schwierig und braucht im Alltag viel Zeit.“

Das sind eigentlich zwei Irrtümer. Und so, wie ich das einschätze, liegt beiden Irrtümern ein ziemlich hartnäckiger Glaubenssatz zugrunde.

Dieser Glaubenssatz sagt in etwa:
„Es darf nicht leicht sein. Wenn es leicht ist, mache ich etwas falsch.“

Kennst du dich darin wieder? Und ja, wahrscheinlich hat es auch etwas damit zu tun, dass wir das Ganze „Training“ nennen. Da schreit mich die Anstrengung förmlich an. „Training“ ist meist sportlich gemeint. Und Sport bedeutet oft, sich anzustrengen, an die Grenzen zu gehen, über sich hinauszuwachsen, Erfolge zu erkämpfen – alles Begrifflichkeiten, die ich in der Arbeit mit der Stimme nicht wiederfinde.

Die Schwierigkeit eines Stimmtrainings (mir fällt kein besseres Wort ein – schreib mir gern, wenn du ein besseres weißt) besteht im Loslassen. Wir alle können sprechen – wir konnten es gut, als wir Kinder waren und haben dann ungünstige Muster entwickelt, die wir heute wieder verlernen dürfen. Das ist die Schwierigkeit. Mit Anstrengung kommt man nur bedingt weiter. Es geht eher um eine Befreiung der Stimme, um ein Zurückfinden zur natürlichen Leichtigkeit beim Sprechen.

Und damit ist vielleicht auch klar, dass das Üben im Alltag leicht sein darf. Es darf zwischendurch passieren, immer dann, wenn du gerade etwas anderes machst, was deine Aufmerksamkeit nicht stark fordert. Arbeiten im Haushalt bieten sich dafür wunderbar an. Auch unter der Dusche oder beim Zähneputzen geht es gut. Und das Schöne ist: du kannst nichts falsch machen. Jeder Tag, an dem du etwas für deine Stimme tust, ist ein guter Tag.

Wie viel Leichtigkeit gestattest du dir? Freu dich über das, was dir gerade gut gelingt, auch wenn es wenig ist. Denn das bringt dich wirklich weiter!

Wenn du jetzt Lust bekommen hast, und dir und deiner Stimme etwas Gutes tun möchtest, dann habe ich etwas für dich.

Ich habe eine kleine Auswahl an Aufwärmübungen zusammengestellt, die ich dir gerne schenken möchte. Sie sind wie das tägliche Beauty-Programm für die Stimme und ein guter Einstieg in diese Art „Training“.

Du kannst sie dir hier einfach herunterladen und bekommst sie zusätzlich als PDF per Mail zugeschickt. Ich begleite dich danach noch ein paar Tage weiter mit Erklärungen, kleinen Videos und anderen Ergänzungen. Also, wenn das was für dich ist, dann hol dir die Übungen. Du gehst keine weiteren Verpflichtungen ein.